Eine angenehme Frische breitete sich im Körper des Graupelzes und dieser glaubte, um einige Jahre jünger geworden zu sein. Er stützte sich nun an seinem Stab, den ihm einer der Orklinge gab und sah dann Brynjarr direkt in die Augen.
„Ich danke dir für deine Güte, Sohn des Nordens“, sagte Buldruk erleichtert. Urdrak indes starrte Buldruk entgeistert an.
„Bist du übergeschnappt, Buldruk? Du bedankst dich bei ihnen, nachdem sie dich vergiftet haben?“
„Das war notwendig“, erwiderte Hrolf kalt. „Oder hätten wir euren Schamanen etwa die Möglichkeit geben sollen, uns einzuäschern?“
„Damit wäre dir dein großes Maul gestopft, du erbärmliches Ferkel“, sagte Urdrak spöttisch. Hrolf sah den Hünen an und die Augen beider funkelten sich böse an.
„Sie hätten uns jederzeit kaltblütig töten können.“, sagte Buldruk ruhig. Dann sah er Brynjarr fragend an und schaute auch vorsichtig zu Hrolf rüber. Dieser hatte zwar den Bogen ein wenig gesenkt, doch spannte er weiterhin seinen Pfeil leicht an. „Aber ich frage mich ebenfalls, was zwei Morras so weit in unseren Landen führt.“
Kurzzeitig blickte Brynjarr zu Boden. Dann hob er den Blick und der Schamane sah, wie die Augen des jungen Krieger vor hasserfüllten Zorn brannten.
„Wir sind auf der Jagd nach einer Bestie“, sagte Brynjarr finster. Buldruk und Urdrak sahen sich erstaunt an. Dann wandte sich Buldruk wieder dem Nordmarer zu. „Hinter welcher Bestie seid ihr her?“, wollte Buldruk wissen. Brynjarr schüttelte den Kopf. „Wir können nicht sagen, um was es sich für ein Untier handelt. Mein Bruder und ich konnten nur die brennenden, gelben Augen sehen, als sie…“ Brynjarr zögerte kurz. Seine Lippen schienen nicht weiter sprechen zu wollen. Letztendlich überwand der junge Krieger seinen Schmerz und beendete seinen Satz: „Als sie unseren Vater gerissen hat.“
Buldruk erwiderte nichts. Er nickte nur traurig und schien sich zu bücken. „Ich weiß, von welchem Ungeheuer du sprichst“, sagte Buldruk leise. „Mein Mitstreiter und ich sind gerade auf dem Weg zu ihm.“
„Zu ihm?“
„Ja. Der Boldyr lebt am Fuße des Berges Schattenhorns.“, sagte Buldruk und zeigte mit dem Stab gen Nordosten. Brynjarr folgte Buldruks Anweisung. Da fiel sein Blick auf die Orklinge, die sich gerade hinter Buldruk versteckten. Der junge Nordmarer schaute in die angstvollen Fratzen der Jungen. Für ihn war es äußerst seltsam, solch kleine Orks zu sehen. Fragend wandte er sich an Buldruk.
„Weswegen wollt ihr diesen Boldyr aufsuchen?“
„Wir…“ Buldruk zögerte. Traute sich kaum weiterzusprechen. „Wir… Wir müssen ihm unsere Orklinge als Opfer darbringen.“
Ein Schaudern durchlief Brynjarr und Hrolf, als sich das in ihre Ohren brannte. Plötzlich sprach Hrolf laut. Seine Stimme klang verbittert und angewidert.
„Was seid ihr für Ungeheuer?! Ihr opfert eure Jungen an dieses Scheusal?! Wofür? Wollt ihr kranken Mistkerle euch bei Beliar etwa lieb Kind machen?“
„Hüte deine Zunge, Morra!“, fauchte Urdrak. Erneut starrten sich Hrolf und Urdrak an.
„Wenn wir dies nicht tun“, setzte Buldruk traurig hinzu, „wird der Boldyr unseren gesamten Stamm auslöschen.“
Brynjarr schaute den Schamanen erschrocken an. Selbst Hrolf verlor für kurze Zeit die Fassung. Dann nickte Brynjarr bestimmt. Seine Miene wurde entschlossener, mehr als sonst. „Führt uns zum Boldyr, Meister Schamane“, sagte Brynjarr entschlossen. „Dann werden mein Bruder und ich diesen Albtraum beenden. Ein für alle Mal.“
Buldruk sah einen Moment Brynjarr seltsam an. Der Nordmarer glaubte ihn den Augen Hoffnung und Furcht zu sehen, zwischen denen der Schamane abwägte. Buldruk schaute dann zu Urdrak und den Orklinge herüber. Die kleinen Orks schauten angstvoll zwischen dem Graupelz und den Nordmarern. Der Schamane sah sie lange schweigend an, bis er sich zu Brynjarr umdrehte. „Wir werden euch zum Boldyr führen.“, sagte er leise.
Der Sturm hatte sich endlich gelegt. Ohne Schwierigkeiten schritten die Orks und die Nordmarer die bewaldeten Hänge herauf, bis sie den Kamm der Hügel erreicht hatten. Vor ihnen erhoben sich ein einziger, finsterer Berg, dessen Gipfel gespalten schien. Jetzt glich er wie zwei Hörner, die aus dem Schädel eines Riesen ragten. Noch nie hatten die Brüder solch einen Berg gesehen. Ein ungewolltes Schaudern durch lief sie, als der Schattenhorn drohend vor ihnen stand. Durch Wolkenfetzen ließ der Mond den Schnee auf dem Schattenhorn weiß erstrahlen, was diesen dunklen Berg jedoch nicht angenehmer machte.
Die Brüder begannen sofort, sich vorzubereiten. Beide benetzten ihre Waffen mit Blutfliegengift. Urdrak sah dies mit angewiderter Miene an. Hrolf, der dies bemerkte, lächelte spöttisch und sagte: „Keine Angst, Grünfell. Dieses Gift ist nur für den Boldyr gedacht.“
„Das will ich für dich hoffen, Morra“, knurrte der Hüne.
Das Gift schimmerte im kalten Mondlicht und verlieh den Waffen der Brüder einen tödlichen Glanz. Brynjarr und Hrolf stecken ihre Waffen ein und wandten sich an die Orks.
„Hört genau zu, Grünfelle“, begann Hrolf finster, „Ihr wartet hier. Verlasst den Kamm unter keinen Umständen. Sobald ihr einen Feuerpfeil am Schattenhorn seht, könnt ihr getrost nach Hause watscheln.“
„Verstanden“, erwiderte Buldruk.
„Ihr glaubt wirklich, dass ihr den Boldyr bezwingen könnt?“, wollte Urdrak wissen. Brynjarr wandte sich zum Krieger.
„Wir müssen es tun. Für unseren Vater. Und für die Zukunft eures Stammes, Krieger.“